Reyhanlı, Syrien, TV, Abschied

Thomas schreibt:

Liebe LeserInnen,

in den letzten Tagen, den Tagen in Reyhanlı, ist so dermassen viel geschehen – hier ein paar Leute mit einem Abschlussfoto bevor ich, mit Zwischenstop für Aljazeera Fernsehinterview, zurück nach Antakya bin um dann einen Bus zur Faehre zu nehmen.

photo reyhanlı

vlnr: Dunja aus Deutschland/Aladin aus Syrien/Saleh aus Syrien/Thomas/ gerade aus Syrien über die Grenze gekommen, Name?/Name?/Rania aus Dallas und Damaskus/Maher aus Syrien

Syrienbesuch?!!?!!?!!
Die zwei Physiotherapeuten vom 19.9.: Einer, beide heissen Mohammed, sagt, es ist sicher, nach Syrien zu fahren, du faehrst bis zur Grenze und kannst dann nach der Grenze bis nach Aleppo fahren, mit einem Sammeltaxi – der andere sagt, es sei nicht sicher.
Ich hab eigentlich ein ganz gutes Gefühl und beschliesse, nur wenn mich jemand vertrauenswürdiger begleitet, werde ich mich über die Grenze hinüberbegeben.
Am gleichen Abend gegen 22 Uhr meldet sich noch Dunja aus Deutschland und ist ein bisschen aufgeregt, sie reden über mich im Hotel AliCE, da wo ich zuerst um ein Quartier gebeten haben – wurde dann von einem der Anwesenden zu seinen syrischen Freunden gelotst. Dort leben 5 Syrer mit unterschiedlicher Geschichte in einer grossen gemieteten Wohnung ohne Einrichtung, geschlafen wird auf Matten, Decken und jede Menge Moskitos sind auch vorhanden – Dunja laedt mich gleich ein und ich verabrede mich mit ihr für den naechsten Morgen.

Gegen 10 Uhr treffe ich zuerst Dunja und einen libanesischen Autohaendler, der seit der Lybien-Krise mit gebrauchten Autos aus Europa handelt, diese gerne in Bulgarien reparieren laesst und dann jetzt nach Syrien liefert. Die z.B. 15 Autos sind dann nach der Ankunft im Hafen innerhalb von 30 Minuten verkauft. Dunja ist hier um zu helfen, vor 2 1/2 Wochen angekommen und teils mit der Kinderbetreuung in den Flüchtlingslagern beschaeftigt.
Danach trifft Rania mit 3 Rebellenführern ein, wovon 2 nach sehr kurzer Zeit wieder verschwinden. Sie selbst lebt seit 20 Jahren oder so in Dallas/USA, ist aber ursprünglich aus Damaskus/Syrien. Vor 1 1/2 Jahren hat es sie nach Reyhanlı gerufen, sie will die Revolution unterstützen, helfen wo sie kann, ist mit allen möglichen Medien in Kontakt und scheint immer ziemlich busy zu sein. Saleh ist mit ihr gekommen, wie ich spaeter herausfinde, ist er Sufi und jetzt ein Kommandant der Rebellen in seinem Land. Er arbeitet mit etwa 100 Menschen, die alle Leiter kleinerer Rebellengruppen sind, die dann seine Anweisungen weiterleiten.
Wir kommen tiefer und tiefer ins Gespraech und Rania und Saleh sind sichtlich berührt von meinem Besuch, der Tatsache, dass ich die Friedensbotschaft bis hierher getragen habe und all diese Mühen auf mich genommen habe, um für den Frieden zu arbeiten, zu gehen. Saleh ist ausserdem ein sehr guter Zuhörer, beide sind bewegt von dem was ich sage. Ich fühle eine ganze Menge Verantwortung, die ich hier trage und hoffe das ich die richtigen wichtigen Worte finde, die den Frieden naehren. Rania will, das die ganze Welt von mir erfaehrt und ich bekunde Bereitschaft für Interviews….
Saleh erzaehlt von vielen Vorfaellen, Tötungen durch die Regierungstruppen, von der Tatsache, dass es Sicherheitskontrollen in/von den Rebellen besetzten Gebieten gab/gibt und wenn Menschen aus den Rebellengebieten in die Gebiete der Regierungstruppen gingen, nicht mehr lebend zurückkamen. Das ist mit jedem passiert und alles sind systematisch umgebracht worden – über einen Zeitraum von 2-3 Monaten. Schliesslich hat er sich mit anderen beraten, es fiel die Entscheidung sich dagegen wehren zu müssen, zum Schutz und auch zur Gegenwehr, Waffen zu tragen, gegen die übermaechtige Regierungsseite…..
Aus der friedlichen Revolution, ua. für freie Meinungsaeusserung und einfache menschliche Grundwerte wurde dann…. Und ich sage…. etwas leise….und dann war es Krieg…. Wohl wissend, ich bin nicht in dieser Situation und will nicht urteilen….. Verstehen kann ich noch nicht ganz – alles ist mir irgendwie noch nicht ganz klar, was dort in Syrien passiert. Ich nehme dies als ein Puzzlestein um zu verstehen.

Inzwischen sind 2 weitere Menschen eingetroffen, einer ein wichtiger hoher Regierungsvertreter von der türkischen Seite, der andere sein Fahrer. Die Namen hat mein Gedaechtnis wegen Überfüllung sofort wieder ausgefiltert. Rania hatte vor 3 Wochen nach weiteren 500 grossen Zelten für die Flüchtlinge gefragt und er hatte zugestimmt, sie aber immer wieder vertröstet. Gestern hatte er dann bei ihr angerufen und gefragt, ob er denn mal vorbeikommen könne – die Absichten waren klar – und sie hatte abgelehnt.
Es ist auf jeden Fall klar, nach einer Weile, dass wir nun nach Syrien fahren, auf das von der syrischen freien Armee (Rebellen) kontrollierte Gebiet. Der ranghohe Regierungsvertreter hat uns eingeladen, wir steigen aber nicht in seine Dienstlimosine ein, sondern in ein etwas kleineres Auto. Rania, Dunja und ich sind ’seine‘ Gaeste und Rania möchte auf jeden Fall, dass ich ein paar Schritte auf syrischem Boden tue – und ich freue mich darüber. In meinem Herzen ist Ruhe und ich fühle mich in dieser Situation ganz sicher, egal wohin die mich auf die syrische Seite fahren. Ich denke an meine Traeume – am 14.9. berichtet – und erzaehle Dunja in Kurzversion davon.
An der Grenze dann verabschiedet sich der ‚ranghohe‘ und geht zu Fuss auf die andere Seite, dem Fahrer hat er die Anweisung gegeben, uns irgendwohin zu fahren….. Der faehrt uns die Strasse wieder zurück und will uns irgendwo aus dem Auto befördern, Rania hat eine sehr lautstarke Auseinandersetzung mit ihm und ich halte mir schon fast die Ohren zu. Spaeter verstehen wir: Es war die Rache des ‚ranghohen‘ für die ‚Nicht-Einladung‘ abends vorher. Seine Verletzung oder Zurückweisung beantwortet er so mit einer anderen Verletzung oder Zurückweisung.
Schliesslich werden wir von dem Fahrer vor der Grenze herausgelassen, dieser wird durch die Absperrung hindurchgelassen. Wir organisieren unsere Rückfahrt. Obwohl ich mich so gefreut hatte, ein paar Schritte auf syrischem Boden tun zu dürfen und auch ein paar gefaltete Friedensvögel verteilen zu können, kann ich sofort und ohne Schwierigkeit sagen: Ja, es ist unglaublich klasse und wichtig, auf die syrische Seite zu kommen und es ist überhaupt nicht wichtig. Ich kann sofort loslassen.

Saleh will uns abholen, sein Auto bleibt aber liegen, weil sein Tank leer ist, Rania organisiert ein Taxi, wir fahren zurück. An der Grenze kommen die ganze Zeit syrische Flüchtlinge an. Ein gutes Geschaeft für die Taxifahrer. Wer keinen Pass hat geht auf anderen Wegen über die Grenze.

Weiter im naechsten Beitrag!!

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