Sofia
Thomas schreibt:
Liebe Freunde
heute ist schon der 11. Tag!!!! in Sofia. Unfassbar. Das haette ich nie gedacht, das ich hier so lange bleiben wuerde, es sich einfach so ergibt von Tag zu Tag. Und hier nun zu berichten, heisst, ich weiss gar nicht wie ich anfangen soll. Und wie soll ich denn nun anfangen??
Nach 4 Tagen an der Kueste, kam die Idee auf, nach Sofia zu fahren, hab berichtet.
Es war eine lange, nicht enden wollende Busreise, von 9:30 bis 17 Uhr irgendetwas fuer 450 km.
Es gibt hier in Sofia eine gefuehrte Stadttour von Freiwilligen, meisst Studenten, die absolut kostenlos ist (naja man gibt hinterher Spenden). Die Studenten, unser machte gerade seine 2. Stadtfuehrung, sind sehr motiviert, machen das nicht jeden Tag und so war der erste Eindruck von Sofia sehr aufschlussreich. Besonders beeindruckend – hier haben nachweislich schon vor 12.000 Jahren Menschen gelebt und in der Antike hiess die gute Staette Serdica. Es gibt auch eine antike Arena, so gross wie das Kollosseum im Rom, allerdings sind nur die Ueberreste bei einem Hotelbau vor einigen Jahren gefunden worden. Leider haben sie das Hotel dann darauf weitergebaut, allerdings kann man einige alte Steine besichtigen, unterhalb des Hotels. In Varna – an der Kueste – hatte ich schon einige goldene Grabbeigaben besichtigt. Nun hatte man eine Woche vor dieser Stadtfuehrung im Nordosten des Landes eine weitere bedeutende Grabbeigabe – Goldschmuck, 2 kg, gefunden, die seitdem in einem der hiesigen Museen ausgestellt ist. Der orthodoxe Patriarch des Landes war ebenfalls vor einer Woche gestorben, im Alter von 98 Jahren-alle orthodoxen Kirchen mit einem schwarzen Banner geschmuckt. Im Zentrum der Stadt kann in einem Rundumblick, die kleine katholische Kirche (1 Prozent der Bulgaren sind katholisch), die orthodoxe Kirche (85 Prozent), die Moschee (im osmanischen Reich bedeutender, hat aber immer noch 7000 Mitglieder) und die grosse Synagoge (1000 Mitglieder – die anderen sind alle in kommunistischen Zeiten nach Israel ausgewandert). Unser Guide meint, die Kirchen sind alle nur einen Steinwurf entfernt, da werden wir doch wohl nicht Steine aufeinander werfen. Ich will Euch aber nicht mit der Berichterstattung ueber die Stadtfuehrung langweilen.
Die Stadt ist gepraegt von kommunistischer Plattenbauweise – noch deutlicher wird dies in allen Aussenbezirken. Die Stadt hat noch viel Entwicklungspotential…… Was mir auffaellt: viele kleine Laeden, die grossen Shoppingcenter sind nicht im Zentrum, humpelige Buergersteige, viele orthodoxe Kirchen – innen zuenden die meissten Glaeubigen Kerzen an, Lichtermeer und andaechtige Stimmung in den ikonengeschmueckten Hallen, oft wird renoviert, teils wegen den verrussten Malereien -, Alexander Nevski Kathedrale fasst 10000 Menschen, auch Theater, Parks, Clubs, Cafees, recht viele Biolaeden, auch 2 vegetarische Restaurants, alte Leute sammeln und suchen im Muell, eine Demonstration fuer mehr Renten, viele Autos und graue Novemberstimmung……
In den ersten Tagen sind in meinem Hostelzimmer auch noch Ingrid und Alex (spaeter mit Vater Reinhard), ganz nette, wir haben nette Gespraeche, besuchen sogar den Schwanensee in der Oper.
Insgesamt habe ich hier viele kulturelle Veranstaltungen besucht, meisst Konzerte, die mir fast alle sehr gut getan haben.
Vor 2,3,4 Tagen hatte ich dann noch mal ne kleine Krise und mich gewundert, wie viel Schlafbedarf ich habe/hatte. Es ist erstaunlich, was sich bei so einer Reise alles ansammelt und sich bei so einer Schlaf“attacke“ alles entspannen kann. Darueber bin ich immer wieder ueberrascht.
Und die kleine Krise bestand darin, dass ich einfach nicht so genau weiss, wie es jetzt weitergehen? soll. Wenn ich daran denke, an die Kueste zurueckzufahren, freut es mich, dass Meer zu sehen und kostet mich jetzt schon mehr Kraft als ich habe, durch all diese Hotelburgen hindurchzulaufen, und leider auch meisst die Strasse benutzen zu muessen.
So kam vor einigen Tagen der Wunsch auf, in den Bergen hier in der Gegend eine Schweigezeit einzulegen (gepaart mit Zweifeln – da ich ja doch eigentlich weiterlaufen moechte, und der Winter naht). Gleich gab es 2 Hinweise, wo das gehen koennte. Eines ist ein Retreatzenter mit Bioanbau im Aufbau etwa 150 km von hier entfernt. Diesem Hinweis bin ich erst mal nicht nachgegangen. Dann besuchte ich einen kleinen Laden, da ich von aussen gesehen hatte, dass es da leckere Raeucherstaebchen gab. Der Inhaber Rai Dass, der nur 1 Tag die Woche da ist, laedt mich gleich auf sein Grundstueck (50 Minuten mit dem Zug) in den Bergen ein. Er baut einen kleinen Ashram und ist einverstanden, wenn ich dort, gegen Mithilfe, wohne – und schweigen darf ich die ganze Zeit. Allerdings war die Entscheidung noch nicht klar. Ich kann kommen, wann ich moechte, sagt er.
Gestern dann wollte ich endlich mal auf die Berge im Sueden, die Seilbahn faehrt nur am Wochenende – meine Info. Ich komme dort an und die Seilbahn faehrt nicht, entscheide mich fuer eine Wanderung. Verschiedene Leute, die ich anspreche helfen mir, einen Weg zu finden. Schliesslich treffe ich auf Luben, der ein paar Jahre in Deutschland gearbeitet hat und wie ich spaeter herausfinde, jedes Wochenende einmal auf den Berg geht. Obwohl alles fein markiert ist, will er mich, wie ein anderer Mann vorher, begleiten. Gut, er hat ein etwas anderes Tempo, aber ich passe mich an. An der Huette Aleko ist es erst 14 Uhr und wir entschliessen uns noch auf den 2.290 Meter hohen Vitosha zu gehen. Da wollte ich eigentlich hin. Mein Plan ist, auf dem Rueckweg von Aleko den Bus zurueck nach Sofia zu nehmen. Also wir hoch, Suppe und wieder runter. Luben sagt, dass er immer den ganzen Weg wieder hinuntergeht und er laedt mich ein, es ist schon 16 Uhr – um 17:15 Uhr wird es dunkel, mitzugehen. Ich zoegere ein wenig – und vielleicht bin ich ja auch ein bisschen laestig, wegen langsamer (obwohl ich schon schneller gehe) – vielleicht ist es ja auch zuviel des Guten – und willige ein. Gegen 17:50 erreichen wir sein Auto. Er bringt mich noch zur Metro und merkt an, dass er noch nie im Dunkeln angekommen ist (ist vielleicht ja auch mehr meine Spezialitaet) Das Allerspaeteste Ankommen war bisher 16:30 Uhr. Hoert sich fast ein bisschen an wie ein Vorwurf, naja, das ist vielleicht zuviel der Interpretation. Fuer mich war das auf jeden Fall viel von ca. 600 Meter Hoehe auf 2290 Meter und wieder runter. Ausserdem merke ich bei solchen Mammuttagen doch meine ziemlich aufgelaufenen Sandalen, besonders im rechten Fuss und wegen leichter Schonhaltung auch im rechten Bein.
Ich also ziemlich groggy zu einem kassischen Konzert mit dem Philharmonischen Chor Sofia – steht im Programm – und ich weiss nicht so recht, was auf mich wartet. Tatsaechlich ist das es mit Orchester und 12 Solisten!!!!! in einer Halle aehnlich geartet dem des Flensburger Deutschen Hauses. Es ist ein 3 1/2 stuendiges Werk, gewidmet Napoleon und verstehe nicht so recht den Inhalt – die Musik, der Chor, die Solisten sind klasse. Ich habe fuer 7,50 Euro einen Sitzplatz in der 5. Reihe. Nach der Pause gehe ich auf den Tribuene, setze mich neben eine klassikbegeiterte Frau, die mich ganz freudig in englisch gruesst (ich frage sie nach dem Werk-sie haelt mir die franzoesische und bulgarische Programmuebersicht hin), mir sofort ihre Telefonnummer gibt, und sagt, ich solle sie mal anrufen. Nach jedem einzelnen Satz klatscht das Publikum, das ist hier in Sofia wohl so ueblich. Und sie ruft immer begeistert „Bravo“ von oben auf die Musiker herunter. Amuesant. Die letzten Saetze des Werkes pusten mich richtig durch und ich fuehle mich rundum erneuert.
Allerding stehe ich auf und merke – puh, irgendwas hat mein Knie abbekommen – ich humpele nach Hause. In solchen Situationen muss mich oft kaputt- oder schlapplachen. Einfach ueber die Situation. Ich hatte so eine schwierige, novembrige Woche gehabt und nun bin ich superlustig aufgelegt, auch wegen der Tatsache, das mein Knie so schmerzt (ich finde das oft lustig, wenn irgendetwas in meinem Koerper so weh tut, dass ich mich nicht richtig bewegen kann, schwer zu erklaeren. Hab das auch, wenn ich was mit dem Ruecken habe, schon fast im Bett liege, noch 5 cm bis zum totalen Liegen im Bett bleiben, mich dann entspannen koennte, und ich es einfach wegen der Rueckenschmerzen diese Distanz nicht ueberwinden kann, dann lach ich mich immer schlapp) das ich nun doch nicht so schnell aus Sofia wegkomme und das es nun schon wieder einen anderen Grund dafuer gibt; wegen dieser „Bravo“-Frau, wegen Luben und dem ganzen Tag rauf und runter vom Berg, und dem Resultat!!!! Den ganzen Weg zurueck zum Hostel lach ich mich total schlapp. Vielleicht kann ich mir ja jetzt erlauben, die Schweigezeit einzulegen.
Etwas besorgt sitze ich dann im Hostel vor dem Computer (wegen meinem Knie) komme mit einer Amerikanerin ins Gespraech, sie macht eine Ausbildung zur Anti-Konflikt- Trainerin im Kosovo.
Heute morgen ist auf jeden Fall – miraculoes – alles wieder o.k. mit meinem re Bein und Knie, bis auf ein bisserl Muskelkater. Gut, ich muesste heute nicht direkt wieder so ne Bergtour machen. Aber morgen werde ich es wohl schaffen, bis zu Rai Dass – uebrigens Deutscher – und seinem kleinen Ashram to be.
Und da taucht auch so ein Gedanke auf – vielleicht nur bis nach Istanbul laufen – und dann die verdiente Winterpause machen – im Sueden von der Tuerkei??? Mal sehen, es ist jetzt mal ausgesprochen.
Und hier ein Dankeschoen an Magdalena und ihren Text von vor ein paar Tagen. Sie hat mir erzaehlt, das diese Worte aus dem Talmut sind.
„Achte auf deine Gedanken, sie werden deine Worte
Achte auf deine Worte, sie werden zu deinen Taten
Achte auf deine Taten, sie formen deinen Charakter
Achte auf deinen Charakter, er wird dein Schicksal werden.“
Alles Liebe
Thomas
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