Die erste Woche in Bulgarien

Thomas schreibt:

Eine Woche in Bulgarien!!

Es ist schwierig, heute anzufangen. Aber jetzt geht es nach ein paar Ablenkungsmanoevern meinerseits los.
Im Moment bin ich bei Jan, Steinmetz, fuer einen Pausentag. Er hat mich quasi von Strand aufgelesen. Ich war unterwegs, vorbei an leeren Hotelburgen, da die Saison zu Ende ist – das fuehlt sich schon etwas gespenstisch an, an 70-100 grossen Hotels vorbeizulaufen, und nirgedwo ist ein Mensch zu sehen. Stimmt nicht ganz. Vor einem Hotel stand sogar ein Bus, in der Naehe waren 3,4 Leute zu sehen. Ein Mann lief an Strand entlang. Ich nahm ein Bad im Schwarzen Meer bei ziemlichen Wellen und vielleicht knappen 20 Grad. Spaeter ein paar wenige Arbeitet, die an einem neuen 10-stoeckigen Hotelkomplex arbeiten, und dann tatsaechlich, vielleicht ein paar Wochenendtouristen, etwa 10 Leute entdecke ich dort, die einfach mal gucken wollen, ob da immer noch ein Strand ist…… oder das Meer?!
Auf jeden Fall, ich vorbei an all den Hotelburgen, meine Faszination ob der gespenstisch anmutenden Atmosphaere sank nach einer Weile, dann irgendwann fand ich es ziemlich schrecklich. Ploetzlich eingezaeunter Strand, ein Hotelkomplex und dahinter hab ichs dann noch mal versucht, wieder ans Meer zu kommen. Kleiner Strand, und weggespuelte kleinere Haeuser, ein Warnschild, ziemlicher Wellengang. Die Wellen reichten bis an die Haeuser heran, die Opfer eines Erdrutsches waren. Auf jeden Fall hab ich da beschlossen, besser nicht weiterzugehen, und eben da steht Jan auf einer fuer den Winter mit Sandsaecken abgesicherten Terasse einer kleiner Bar, keine Gaeste mehr da. Nach ein paar Saetzen bin ich schon eingeladen und wir gehen an dieser so unverhofften paradiesischen Garten hinauf (Von den Hotels ist hier nix zu sehen). Es gibt eine offene Kueche und ich kriege ein weiss gestrichenes Zimmer, die Felsen, die in diesen Raum hineinragen sind auch weiss gestrichen. Und ich werde auch noch mit einer leckeren Suppe bewirtet, er holt noch ein paar Weintrauben aus seinem Garten und meint, die waeren etwas zu „Honig“, meint zu suess.
Es ist eine Woche in Bulgarien rum und da freue ich mich, dass ich auch fuer den naechsten Tag noch eingeladen bin. Pausentag.

Durch die Nacht
Als ich vor einer Woche Silistra verlassen habe, war es superwarm, unverhoffte gefuehlte 30 Grad!! Nach einer Weile stelle ich fest, das ich mir gar keine Gedanken gemacht habe, wo ich denn am Abend sein wollte. Meist mach ich mir keine Gedanken, doch wenn die Orte weit voneinander entfernt liegen macht es schon einen gewissen Sinn. In diesem Fall lagen die Orte meist ab von der Strasse –. So kommt in meinen Geist der Gedanke, die Idee, ich koenne ja die Nacht durchlaufen, die guten 80 – 90 km bis Dobrich durch eine lange Wanderung, halt an diesem Tag, durch die Nacht und wieder durch den naechsten Tag ueberbruecken. Bin selbst etwas ueberrascht, ueber diese Idee, diesen Gedanken, weiss ich doch, dass das ganz schoen anstrengend werden koennte. Andererseits ist es attraktiv, da ich mich dem Schwarzen Meer dadurch wesentlich schneller annaehere. Ich verschwende nicht allzu viele Gedanken an diese Idee und nach ein paar Stunden ist klar, ich werde durch die Nacht pilgern.
An den Strassenraendern liegt nicht soviel Muell, wie in Rumaenien faellt mir auf, und dann sogar noch Plastikmuellskulpturen und eine Muelldeponie. In Rumaenien hatte ich das Gefuehl, wird der Muell zumindest auf dem Land nicht systematisch entsorgt, sondern landet bei jedem Ort irgenwo, manchmal auch in den Fluss gekippt.
Gegen 24 Uhr tut ganz ploetzlich mein rechter Fuss an einer Stelle so dermassen weh, das ich mir sofort einen Platz zum „Kurz“schlaf suche. Da dachte ich so an die 2 Stunden, koennten gut zum Ausruhen sein. Es ist eine laue Nacht, ein paar Wolken am Himmel, sieht aber nicht dramatisch aus. Nach ziemlich exakt 2 Stunden fuehle ich die ersten Tropfen auf meinem Gesicht. Es beginnt ganz zaghaft zu nieseln. Es bleibt genug Zeit, langsam aufzuwachen, mich innerlich und aeusserlich auf Regen einzustellen. Und den Fuss zu begutachten und zu verarzten. Alles hilft nicht, keine Blasenpfaster, keine Socken…… ich beschliesse, barfuss zu laufen…. hervorragend, das geht gut. So laufe ich etwa 5-7 Stunden durch die Nacht und den Morgen, es ist inzwischen immer kaelter geworden, ich schaetze es sind vielleicht noch 12-15 Grad. Ich suche eine Gelegenheit, irgendwo einen Tee zu bekommen, mich aufzuwaermen und mal hinzusetzen. Ich lande bei einer Art Terrasse, auf der etwa 15 bis 20 Arbeiten sitzen, alle eine Zigarette in der Hand haben, sich in Maennermanier unterhalten. Keiner von ihnen spricht englisch oder gar deutsch und so gibt es erst einmal eine etwas merkwuerdige Atmosphaere. Ich der barfuss aus dem Regen auftauchende Fremde trifft auf all diese „Einheimischen“, die auch nicht so genau wissen, was sie jetzt mit mir anfangen sollen. Von dieser Terrasse gibt es einen Eingang zu einem kleinen Minimarkt, es gibt auch Tee zu bestellen, der aber auf der kalten Terrasse eingenommen werden muss – auch schon aus Platzmangel. Ich fuehle mich in solchen Situationen oft etwas unangenehm, auch weil diese Maenner nicht gerade einladend wirken, skeptisch, fragend schauen….. Und so landet erst nur mein Tee und das gerade eingekaufte, eine Banane, ein Apfel, an einem der freien Tische, spaeter dann meine Fruehstueckszutaten, mein Muesli…. Die Arbeiter verschwinden irgendwann …. und ich gehe weiter.
Es hat aufgehoert zu regnen, doch es ist weiterhin unverhofft kalt und windig. Ich habe wieder meine Sandalen mit Socken an, eine Weile geht es, dann beginnt wieder der rechte Fuss zu schmerzen. Ich schaue auf die Uhr und bin erstaunt, es ist erst 11:55 Uhr, es kommt mir vor wie 17 Uhr oder aehnlich, naja, hab ja auch so gut wie kaum geschlafen. Wie ich nach einer Weile herausfinde, laesst der Schmerz am Fuss nur dann nach, wenn ich mich immer wieder auf mein Zentrum besinne, mit meinem ganzen Sein gehe. Ich formuliere dies mit den Worten „mit dem Herzen gehen“ und rezitiere dies ununterbrochen vor mich hin. Natuerlich sage ich dies nicht nur, sondern die Voraussetzung fuer das Verschwinden des Schmerzes ist, dass ich es auch fuehle. Lasse ich einen kleinen Moment mit meiner Konzentration nach und lasse ich nach, mein ganzes Sein zu fuehlen, waehrend ‚ich bin‘ kommt sofort der Schmerz zurueck und hilft mir, mich daran zu erinnern.
Gegen 15 Uhr zeichnet sich ab, dass ich es ins 10-12 km entfernte Dobrich nicht mehr schaffe und ich beschliesse, nachdem ich nach innen gefragt habe, ob ich vielleicht noch bis dorthin gehen sollte und zu meiner Ueberraschung ein sehr heftiges ‚Nein‘ kommt, eben in diesem kleinen Dorf Koylodujci zu bleiben. Ich finde an einigen Baeumen Todesanzeigen in A4 Form und erstmal kommt es mir so vor, als ob hier gerade das ganze Dorf gestorben ist, aber viele der Anzeigen sind schon aelter. Auch an einigen Hoftueren haengen die Todesanzeigen, machmal sogar mit schwarzen Schleifen. Ueberall fuehle ich so eine Art Abweisung. Manchmal frage ich jemanden, und merke zwar, dass mich dieserjenige verstanden hat, und doch reagiert er gar nicht auch mich, tut so, als sei ich nicht da. Da es so frueh ist, gehe ich zum Buero der Buergermeisterin. Die hat nichts Besseres zu tun als ihr Befremden zu bekunden und danach zusammen mit ihrer Angestellten in meinem Beisein die Zeitung weiter zu studieren und auf wichtig zu tun. Schliesslich lerne ich noch ein paar freundliche Menschen kennen, die mich zu Ray und Chris, 2 Englaendern begleiten, die mich schliesslich gerne einladen. Es gibt richtig tolles englisches Essen, Spiegeleier, Chips und Bohnen aus der Dose.

Am naechsten Morgen darf ich noch etwas laenger bleiben bis es aufgehoert hat zu regnen; die beiden haben mir sogar die Waesche gewaschen und so starte ich die 12 km bis nach Dobrich erst gegen 11 Uhr. Es regnet dann aber doch. Ich lande in dieser vom Kommunismus gepraegten Stadt in so einer Art Frauenhaus von der orthodoxen Kirche.

Und schliesslich am naesten Tag, am 31.10., noch im Oktober erblicke ich das Schwarze Meer. …….. Nach 2.340 km!!!! Meer.

 
 

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